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Günther Birkenfeld, Wolke – Orkan – und Staub. Verlag Das kulturelle Gedächtnis ISBN 978 3 946990 24 6

 

Das Buch erschien 1955 und ist untergegangen, es passte wohl nicht in den Zeitgeist. Nur meine 90-jährige Freundin Katja erinnert sich, dass sie es als junges Mädchen mit Freude und Gewinn gelesen hat. „Viel gab es ja damals nicht!“ Der verdienstvolle Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“ hat es neu aufgelegt, hübsch gebunden, mit einem aufschlussreichen Nachwort versehen, und mit einer Danksagung, die vermuten lässt, dass es allerlei Unterstützung bedurfte, damit es erscheinen konnte.

In den 50er Jahren passte es wohl nicht in den Zeitgeist, d.h. den Geist jener Zeit, in der schon Wohlstand ausgebrochen, die alten Nazis integriert oder aus sehr kurzer Haft entlassen, und das Gedächtnis an die „schlimme Zeit“ gelöscht war. Außerdem waren es Zeiten des kalten Kriegs.

Die Geschichte beginnt harmlos, beinahe idyllisch in der Havelbucht, es ist Sommer, Anna beobachtet einen Falter, danach sind Flieger am Himmel. Es ist die Zeit der Wolke, die sich über Berlin und die Protagonisten senkt, dann kommt der Orkan mit Krieg, Brutalität, Zerstörung, das dritte Kapitel, Staub, spielt im zerstörten Berlin.

Das Personal ist überschaubar, Hauptfigur ist Anna, frech und eigensinnig, eine junge Sozialdemokratin, sie “haßte Hitler, weil ihr alles an ihm zuwider war, sein Schreien, sein verzerrtes Gesicht, seine Handbewegungen. […] Mit politischer Überzeugung hatte das wenig zu tun. Sie klammerte sich an die Menschen, die besonnen blieben und für die so allgemein gewordenen Wallungen und Wahnvorstellungen nicht zu haben waren“. In der Havelbucht trifft sie auf Wolkenbruch, hässlich, korrupt, reich und ein bisschen genial. Wolkenbruch, auch Monster genannt, macht gute Geschäfte mit den Nazis, hilft aber auch Untergetauchten und immer wieder Anna. Es gibt den überzeugten Nazi, der eindeutig böse ist, einen unbedarften Jungen, der bei der SS landet und die Morde im Osten erlebt hat, deshalb davon läuft und sich verstecken muss; ein jüdischer Freund emigriert, einer, der nicht alles schlecht findet, wird Annas Ehemann. Verschiedene Freunde, die Anna helfen, sind in ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus gegnerisch bis schicksalsergeben. Der Eine eindeutig Gute und sehr kurz Annas Geliebter wird gefasst und hingerichtet.

Es sind – aus der radikalkapitalistischen Perspektive von heute betrachtet – erstaunliche Figuren, keine Heroen, sondern Menschen, die auf einfache Weise „gut“ sind, eher nebenbei, weil klar ist, was man tun oder eben lassen muss. Die – eher unglücklichen – Liebesgeschichten, Ängste und die erforderlichen Improvisationen in Zeiten des Krieges bewegen die Figuren mehr als Ideologien. Mir fällt, außer vielleicht Fallada, kein Autor ein, der die Konflikte von gewöhnlichen, man könnte fast sagen normalen Menschen im Berlin der 30er und 40er Jahre so unaufgeregt beschrieben hat.

„Nicht alle, aber viele Menschen waren wirklich krank, waren befallen von der Katastrophen-Epidemie. Mit dem Orkan trieben die Bazillen heran, setzten sich fest in den Herzen und Hirnen und vermehrten sich wuchernd. Die Erreger waren unterschiedlicher Natur und erzeugten unterschiedliche Leiden, denen lediglich das Symptom der Hemmungslosigkeit gemeinsam war. Manche Patienten wurden hemmungslos gutartig, andere wieder hemmungslos bösartig und wieder andere hemmungslos stumpf. Man half sich gegenseitig mit Selbstlosigkeit und Opfermut. Man kehrte sich von der Not des anderen ab mit brutalem Egoismus. Man versank in völlige Gleichgültigkeit, wie stets in Zeiten der Katastrophen und der allgemeinen Bedrohung.“ Solche ordnenden Reflexionen wendet der Autor dann auf seine Figuren an: „Anna erkrankte an hemmungsloser Gutartigkeit, die Pleskaus am Erreger der Bösartigkeit und der kleine Vetter Peter Jurchow an progressiver Abstumpfung.“

Die Erzählung reicht bis in die Nachkriegszeit, die Alliierten zerbomben die Stadt, die Russen vergewaltigen Frauen, Freunde sterben, werden schwer verletzt, verrückt oder kriminell. Die einen bleiben im Osten, andere flüchten in den Westteil der Stadt, und es ist nicht immer klar, ob Birkenfeld realistisch, abgestumpft oder zynisch ist, wenn z.B. Jürgen Hechta (der im Nachwort als Peter Huchel enttarnt wird) die Reste seiner Tochter in einem Karton auf dem Rücken per Rad nach Hause fährt, um sie zu begraben.

Im Nachwort erfährt man, dass Birkenfeld sich nach dem Krieg auf die Seite der Antikommunisten stellte. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, in der die einen von russisch-stalinistischer Obrigkeit, die anderen vom CIA abhängig waren. Da kommen wir her. Und deshalb ist das Buch (auch) ein Beitrag zum Regionalismus, eine an- und aufregende Korrektur zur neuen Leidenschaft für Heimat und Zugehörigkeit.