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a work in progress
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a work in progress
geboren in London, aufgewachsen in Wien, mit 18 wollte ich in die USA, durfte dort nicht bleiben, bin nach Kanada weiter gewandert, und landete schließlich in Deutschland (West).
Wohnorte: Berlin, München, Köln, Tübingen, zwischendurch wieder Wien, seit 1997 lebe ich ununterbrochen in Berlin.
Ich habe studiert (Germanistik, Soziologie, Philosophie, Empirische Kulturwissenschaften, Geschichte – mit MA und Dr. rer.soc abgeschlossen), und in verschiedenen Gewerben mein Geld verdient: Am Anfang meiner Laufbahn als Bankangestellte, dann als Journalistin und Redakteurin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an Universitäten und an Ausstellungen und war zwischendurch u.a. Sozialarbeiterin. Meine letzte solide Tätigkeit war die Redaktion der Zeitschrift Gegenworte – Hefte für den Disput über Wissen hg. von der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Seit 2007 lebe ich als freiberufliche Au-, Lek- und ModeraTORIN in Berlin.
Ich habe einige Bücher geschrieben und fast jedes in einem anderen Verlag herausgebracht. Mich interessieren Aufbrüche und wie Individuen mit dem Kater danach umgehen (bevorzugt um 1800); mich interessieren Stigmatisierte, Träumer und Einzelgänger, Juden, Kommunisten oder auch Henker – und was auf sie projiziert wird. Ich kann Geschichten nicht erdichten, dazu ist meine Loyalität gegenüber den Fakten zu stark, was ich gerne mache: überliefertes Material umbauen, verschiedene Perspektiven wählen, schütteln und neu zusammensetzen. Ich suche nach Worten für den Nebelstreifen zwischen Himmel und Erde, Wissenschaft und Literatur, Politik und Personen … Geschichte und Geschichten.
1986 bin ich Mutter geworden, das hat meinen Schlaf- und Aufstehrhyrthmus und meine Sicht auf Probleme und mögliche Lösungen verändert.
Infos in Bild und Ton:
Meine ersten journalistischen Sporen verdiente ich im Kursbuch, bei Konkret, Spontan und twen und im Bayerischen Rundfunk, habe im Kollektiv des Weismann-Verlags und für die Arbeitsgemeinschaft kleinerer Verlage ‚gewirkt‘ *); in Sammelbänden und diversen Zeitschriften veröffentlicht, für den Südwestfunk, beim Schwäbischen Tagblatt, bei der taz, für den Österreichischen Rundfunk, die Wiener AZ und die Presse, den Freitag und andere Blätter gearbeitet. Ich habe über Weibliches und Jüdisches, linke Geschichten und die Notwendigkeit von Literatur publiziert. Seit meiner Dissertation über den Buchhändler, Verleger und Reformer Philipp Erasmus Reich beschäftige ich mich mit dem 18. Jahrhundert, u.a. mit Karl August Varnhagen, den Töchtern Moses Mendelssohns, mit Wilhelm und Caroline von Humboldt, Karl Huss, den niemand kennt (ein Henker und Heiler, der mit Goethe und mit Metternich Kontakt hatte). Ich habe über die Damen des Wiener Kongresses geschrieben, auch über Marie Luise, die 2. Frau Napoleons. Meine Protagonisten sind Haupt- und Nebenfiguren, die gewaltige politische und sittliche Umbrüche durchlebt haben.
Da mich die im deutschen Sprachraum wenig bebauten Felder zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, zwischen Fachsprache und Literatur, zwischen ernster und trivialer Kultur interessieren, habe ich mich praktisch wie theoretisch mit dem Zwischen auseinandergesetzt. Wissenschaftsvermittlung und die Brücken zwischen Fakten und Erzählen, dem Allgemeinen und Besonderen wurden Themen meines Unterrichtens und Schreibens.
In den Wiener Jahren und besonders 1989 ff. habe ich mich in Vorträgen, Aufsätzen und bei Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache viel mit der Frage beschäftigt, was Kultur zur Verständigung zwischen den verschiedenen Ländern im Osten und im Westen, im Norden und im Süden und dazwischen beitragen kann. Rahmen dafür waren Treffen der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn, der Felix-Meritis-Foundation Amsterdam, Amsterdamer Summer-University, IFA = Institut für Auslandsbeziehungen samt Zeitsxchrift für KulturAustausch, Österreichische Akademie der Wissenschaften, das Literaturhaus Wien und Literaturhaus Mattersburg, Begegnungen rund um die Zeitschrift wespennest, sowie bei Diskussionsfestivitäten in Prag, Budapest, Szombathely, in Bukarest, Nishni Nowgorod, Tallin u.a..
In Wien, Berlin und Tübingen habe ich auch an der jeweiligen Universität gearbeitet – im Bereich Kultursoziologie am Soziologischen Institut der Freien Universität Berlin (1982-1987), als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozioökonomie der Österr. Akademie der Wissenschaften, als Lehrbeauftragte für Vergleichende Literaturwissenschaften, für Medienwissenschaft, für Europäische Ethnologie. In der Wissenschaft lag mein Schwerpunkt auf der Entwicklung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, literarisch hat mich die Geselligkeit zwischen Aufklärung und Romantik besonders interessiert. Beim Unterrichten habe ich mich bemüht, den Studierenden das Schreiben, Reden und Recherchieren beizubringen. Vermitteln von Wissenschaft(en), Fakten und Vernunft gehören zu meinen Anliegen.
Orte meiner Lehre und Forschung: Rhetorisches Seminar der Universität Tübingen, Institut für Empirische Kulturwissenschaften Tübingen, Institut für Soziologie der FU Berlin, Institut für Geschichte der Universität Wien, Institut für Zeitgeschichte ebd., Institut für Vergleichende Literaturwissenschaften ebd; Forschungsstelle für Sozioökonomie der Akademie der Wissenschaften, Wien, Amsterdam Summer-University; Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität Berlin.
Das Interesse für die Arbeit an Sprache und mit Wissenschaft (trotz ihrer meist grauslichen Ausdrucksweisen) konnte ich – manchmal – essayistisch verbinden, und machte die Erfahrung, dass man nicht als Wissenschaftlerin gilt, sobald frau sich verständlich ausdrückt. Insofern war es ein Glücksfall, als ich die Möglichkeit bekam, eine Zeitschrift für und zusammen mit anerkannten Wissenschaftlerinnen (beiderlei Geschlechts) zu entwerfen und zu leiten, in der sich verschiedene Disziplinen um Öffnung und Verstehbarkeit bemühten. In den Gegenworten konnte ich ausprobieren, ob das geht: differenziert und verständlich, anregend und quer über die Disziplinen zu kommunizieren. Warum ich nach Heft 14 aufgab ist eine andere Geschichte.
Ich habe einen Schönheitssalon für empfindliche Texte gegründet, in dem ich Pickel und Falten in anderer Leute Texten bereinigt habe (= derzeit inaktiv), habe mit meinem Kollegen Peter Gößwein zusammen Reden und Schreiben in den Wissenschaften unterrichtet, nebenbei Clownskurse besucht und Trommeln gelernt.
Nachdem ich aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschieden bin, konnte ich wieder Bücher schreiben. Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt ist im Mai 2009 in der Anderen Bibliothek des Eichborn-Verlags erschienen; es ist das einzige meiner Bücher, mit dem ich auch Geld verdient habe, mittlerweile gibt es 4 Auflagen und eine Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg.
Im August 2010 ist jenes Buch erschienen, um das mich meine Freundin und treue Verlegerin Lisette Buchholz = persona-Verlag seit Jahren gebeten hat: JUDEN NARREN DEUTSCHE. Sie hat mich jahrelang gedrängt, die verstreuten Aufsätze zum Thema Jüdisches in deutschen Landen zusammenzutragen, und als ich mich daransetzte, ist viel zusätzlicher Text aus meinem Kopf geplumpst.
Im Sommer 2012 erschien das Buch: Karl Huss, der empfindsame Henker. Eine böhmische Miniatur. Es spielt wieder in der Zeit um 1800, thematisiert Rollenzuschreibungen und den Versuch, aus einer Stigmatisierung auszubrechen. Das Buch ist im Verlag Matthes & Seitz, Berlin, erschienen.
2013 erschien ein hübsches kleines Bändchen: Eitelkeit. Ein spärlicher Name für einen überquellenden Inhalt. Hochroth-Verlag. Vorausgegangen war ein Vortrag zu dem Thema, in dem ich versucht habe zu erzählen, was ich unter Kulturpublizistik verstehe, und wie ich mich einem so amorphen Thema essayistisch annähere.
Im Herbst 2014 erschien Congress mit Damen. Europa zu Gast in Wien 1814/1815. Neben den interessanten, mitmischenden Frauen spielen einige alte Bekannte mit – Wilhelm von Humboldt, Karl August von Varnhagen, Dorothea Schlegel u.a., über die ich in früheren Büchern geschrieben habe. Erschienen im Czernin-Verlag, Wien.
Im Wintersemester 2014/2015 war ich Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Seit Juni 2019 ist der schmale Band Simon Veit, der mißachtete Mann einer berühmten Frau im Buchhandel erhältlich. Diese Frau war Brendel, die Tochter Moses Mendelssohns, berühmt als Dorothea Schlegel, Muse der Romantik und Ikone der Frauenbewegung. Herausgegeben hat es Lisette Buchholz, persona-Verlag.
Meine Schwester behauptet ja, die ersten Preise hätte ich schon mit acht oder neun Jahren bekommen, ich erinnere mich an zwei Preise der Österreichischen Wirtschaftskammer 1960 und 1961 – im Rahmen der Aufsatzwettbewerbe in der Wiener Handelsakademie. Das ist doch alles sehr lange her. Aber inzwischen und vor allem in Österreich, habe ich „gewonnen“:
1999 ORF-Essay Preis (den 2.)
2012 Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik
2015 Theodor-Kramer Preis
In London bin ich geboren, weil meine österreichischen Eltern dorthin geflüchtet sind. Die Volksschule habe ich in Floridsdorf besucht, wir hatten eine sehr kluge junge Lehrerin, die sich um das Miteinander der Kinder aus sehr unterschiedlichen Milieus bemühte (Flüchtlingskinder, Nazikinder, Kinder von Juden und Atheisten, von Zigeunern, Russen, Ungarn oder Rumänen).
Als Gymnasium wählten meine Eltern die Stubenbastei, die einzige Schule in Wien, die Russisch als Hauptfach anbot, und wo die meisten Remigranten ihre Kinder hinschickten. Es war eine sehr liberale Schule, eine der wenigen, in denen Buben und Mädel gemeinsam unterrichtet wurden. Aber mein Klassenlehrer wollte mich nicht, er empfahl meinen Eltern, mich von der Schule zu nehmen, sonst würde er dafür sorgen, daß ich die drei „Fünfer“ bekomme und aus der Schule fliege.
Es folgten vier Jahre Handelsakademie, das war – nach Koedukation, nicht nur aber doch vielen aufgeklärten Lehrern, zahlreichen Remigrantenkindern und engagierten Eltern – ein Kulturschock: reine Mädchenklassen, Einführung in das kleinbürgerlich-konservative Milieu. Wie ich diese Ausbildung in Fächern wie Finanzmathematik, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaft etc. überstanden habe, weiß ich bis heute nicht, war aber von den 63 Anfängerinnen eine der 13, die es bis zum Fachabi schafften.
Mit 18 ging ich in die USA, genauer gesagt nach New York, das gelobte Land, Inbegriff von Freiheit und Fortschritt, staunte über Plakate wie „You don’t have to be jewish to love Levis Rye-Bread“. Ich wunderte mich, dass man mit Juden Reklame machen konnte. Der Rassismus gegen Schwarze war spür- und hörbar, Kennedy wurde erschossen, die Bürgerrechtsbewegung hatte begonnen. Da mich die Nachfahren von Mc Carthy (nicht Paul, nicht Mary, sondern der Kommunistenfresser) nicht wollten, zog ich nach Kanada, Toronto und fand einen Job in der Canadian Imperial Bank of Commerce. Abends tippte ich für einen deutschen Unternehmer dessen Briefe, wohnte unter falschem Namen bei Leuten, die 1945 aus Deutschland geflüchtet waren. Das antisemitische Coming-out des Schwiegersohns überstand ich ebenso selbstbewusst, wie die Absage eines jüdischen Geschäftsmanns, der mir – als ich meinen richtigen Namen sagte – mit heftig jiddischer Aussprache erklärte, er arbeite nicht gern mit Jidden.
Nach anderthalb Jahren hatte ich genügend Geld verdient, um nach Europa zurückzukehren, übrigens damals noch mit dem Schiff. Ich nahm mir in Wien ein Untermietzimmer, büffelte an der Abendschule, und fand dank der Vermittlung meines Zahnarztes den ersten Job bei einer Wirtschaftszeitschrift.
1965 erhielt ich die für ein Studium der Geisteswissenschaften nötigen Zeugnisse von der Externistenreifeprüfungskommission.
Herbst 1965: Umzug nach Berlin, Studium der Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Freien Universität Berlin. Magisterarbeit über ‚Die Rolle der Gartenlaube für die Konzeption und Verbreitung von Marlitts Romanen. Studie zur Trivialliteratur‘ (Betreuer Prof. Eberhard Lämmert). Zu dieser Ausbildung gehört, dass ich Mitte der 60er Jahre kopfüber in die Studentenbewegung gefallen bin. Mich haben das Antiautoritäre und die radikale Veränderung der Umgangsformen, die stundenlangen Diskussionen am Mensatisch und das Ausmisten der Germanistik-Bibliothek (Nazischrifttum!) nachhaltig beeinflusst. Lernen und Leben, die Freundschaften mit Hippies und Marxisten, Dinge/Texte/Wahrheiten umdrehen und die Freude am Experimentieren wirken bis heute nach. Bei K-Gruppen und dgl. hab ich nicht mitgemacht, das kannte ich schon aus meiner Jugend. Ein kleines privates Jurastudium konnte ich absolvieren, weil ich jahrelang in einen Prozess gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten Duensing verwickelt war – wegen Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes am 2. Juni 1967, ich hab den Prozess gewonnen. Frauenbewegung, die Gründung von neuen Zeitschriften und Kleinverlagen, der deutsche Herbst und einige unglückliche Liebesgeschichten gehören zu meiner Schule des Lebens.
Wie bin ich zum Schreiben gekommen? Soweit ich es noch weiß, habe ich, abgesehen von Gedichten für Familienfeste und vielen Briefen, mit dem literarischen Schreiben angefangen, weil ich für meine Schulfreundinnen Liebesbriefe verfasst habe. Und ich habe in der Handelsakademie die Maturazeitung initiiert und mit meinen Beiträgen gefüttert.
Während des Studiums habe ich für allerlei Blättchen und Flugblätter formuliert, die erste zitierbare Veröffentlichung war „Unwissenschaftliche Betrachtungen eines weiblichen Monsters“ im Kursbuch 17, geschrieben unter dem Pseudonym Hazel E. Hazel (weil ich die philosemitischen Bemerkungen der damals 40-60-Jährigen nicht ertragen habe). Die Sprache ist nicht mehr erträglich, was ich bewahrenswert finde, ist mein Plädoyer für die Emanzipation der Männer, denn „wenn die Frauen sich allein emanzipieren (werden) sie eines Tages vor den Männern stehen, und die können nichts mehr mit ihnen anfangen, weil sie Angst haben, impotent zu werden, nicht die nötige Bestätigung zu bekommen“. Genau das ist ja dann auch passiert.
Anfang der 1970er Jahre unterrichtete ich gemeinsam mit einem Kollegen an der Volkshochschule Schöneberg „Deutsch für Türken“. Damals gab es noch keine Lehrbücher, geschweige denn eine Ausbildung, wir entwickelten das gemeinsam mit den durchaus interessierten „Gastarbeitern“, auch „Gastarbeiterinnen“. Dann gab es eine Ausschreibung für die Entwicklung von Lehrmaterial. Wir reichten ein. Man brauchte aber die Unterschrift eines Professors (war wohl als Qualitätssicherung gemeint). Wir gewannen den 1. Preis. Der Prof. machte das dann, aber ohne uns. So lernte ich die Bedeutung der akademischen Hierarchien kennen.
Meine ersten journalistischen Sporen verdiente ich mir bei einer Wirtschaftszeitschrift. Mein Zahnarzt hatte mich an seinen Kunden vermittelt. Der war bekannt als konservativ, fand es aber lustig, so eine kleine Rote zu engagieren. Ich war eine Art Praktikantin, bekam aber auch (wenig) Geld und wurde zu den Pressekonferenzen geschickt, bei denen es was zu essen gab. Nach zwei Monaten durfte ich erstmals für einen eigenen Artikel recherchieren. Es ging um ausländische Studenten (so sagte man damals, Frauen waren ohnehin nicht dabei). Man bedenke, das war Mitte der 1960er Jahre. Ich zog also los, bemerkte kaum, welche Sensation ich war, als ich in die eigens für die „Ausländer“ eingerichtete Mensa kam (Argument für die Segregation: die essen kein Schweinefleisch). Es war nicht einfach, die Jungs zum Reden zu bringen, sie waren misstrauisch gegenüber Journalisten, gewohnt, dass man nur Negatives schreibt. Ich mach das anders! Und schrieb einen sehr einfühlsamen Bericht, der all die Diskriminierungen, die damals noch selbstverständlich waren, thematisierte. Der Artikel erschien. Allerdings mit einem Vor- und einem Nachspann meines Chefs, der den Inhalt verdrehte – nach dem Motto, wir werden hier mit den Fremden nicht fertig, was maßen wir uns an, Südafrika zu kritisieren. Ich war wütend, raste in die Redaktion, machte eine Szene und kündigte (obwohl ich auf die Stelle angewiesen war). Nach etwa zwei Wochen rief der Chef bei mir an, und meinte: wenn Sie solche ideologischen Schwierigkeiten haben, wollen Sie als Fotografin für uns arbeiten. Ich begriff, was “liberal” war. Meine Überzeugung war für ihn nur Spinnerei, er schätzte, dass ich fleissig und engagiert war, meine Meinung war nebensächlich, er konnte sich das großzügige Angebot leisten, ich aber suchte mir einen anderen Job.
Dank meiner Ausbildung in der Handelsakademie fand ich in Kanada eine Stelle in der Canadian Imperial Bank of Commerce. Schon kurz nach Beginn der Arbeit wurde ich auf einen Kurs zur Weiterbildung geschickt. Es ging nicht, wie ich erwartet hatte, um Bankwesen oder Buchhaltung. Der Nachwuchs, lauter junge Frauen, kamen in einen Kosmetiksalon. Uns wurde vorgeführt, wie man sich schminkt, kleidet, frisiert. Als ich sagte „I can’t see, why I should do this, I think I am beautiful enough“ war das ein grosser Skandal. „If you don’t want to improve yourself, we can’t help you“. Ich sah, wie die Mädchen, viele von ihnen aus der Provinz, verändert aus dem Kurs kamen: vereinheitlicht, hübsch zurechtgemacht, künstlich. Es war wie eine Operation, die auch das Innen veränderte. Ich blieb nicht lange in dem Job.
Im Kanada der 1960er Jahre lernte ich auch, was Selbständigkeit heißt. Ich hatte zwei Freunde, mit denen man Pferde stehlen konnte. Frank, der mir sehr geholfen hatte, arbeitete in einer Firma, die nachts Büros und Fabriken putzte. Der Chef hatte ihn beleidigt, es gab grossen Krach, Frank kündigte. Da bot ihm der Chef an, er könne sich selbständig machen. Die Selbständigkeit bestand darin, dass er ein eigenes Scheckbuch bekam und auf eigene Rechnung putzen durfte. Von Stund an hatte er keine Zeit mehr, war „wichtig“, arbeitete doppelt und dreimal soviel, nahm sich eine bessere Wohnung. Mit Pferde stehlen und lustigen Abenden wars vorbei. Mehr verdient hat er nicht, aber er war nun „selbständig“. Ich denke inzwischen immer daran, wenn ich höre, dass nun auch hierzulande immer mehr Menschen „selbständig“ arbeiten.
An jenem 2. Juni 1967 stand ich mit vielen anderen vor der Deutschen Oper, neugierig, unbewaffnet, ganz vorne, weil ich doch so klein bin. Als die Polizisten völlig enthemmt auf uns zurasten, um mit der später berühmt gewordenen „Leberwursttaktik“ die Schah-Gegner auseinanderzutreiben, kauerte ich mich auf dem Boden zusammen. Ich wurde trotzdem oder deswegen mit dem Gummiknüppel heftig geschlagen (spüre das jetzt, im Alter, noch). Und dann prozessierte ich gegen diesen Polizeieinsatz, der nämlich nicht nur fanatisch, sondern auch rechtswidrig war. Nach vielen Jahren wurde eine Entscheidung gefällt. Ich gewann. Ich hatte also den Gesetzgeber auf eine Gesetzeslücke aufmerksam gemacht, der Prozess war so lange hinausgezögert worden, bis ein neues, Gesetz verabschiedet wurde, das deutscher Polizei das Tragen von Waffen erlaubte. Damals als sog. Handgranatengesetz beschimpft und von … tja, wem? Damals sagte man von Linken kritisiert. Zu diesen Kritikern gehörte auch die Humanistische Union, die mich damals unterstützt und einen Anwalt gestellt hat.
PS: Diese und einige andere Unterlagen zu 67ff. habe ich vor einigen Jahren dem Amsterdamer Archiv für Sozialgeschichte übergeben.
Hier fehlen nun all die Geschichten, wie ich lernte, was es heißt, eine Frau zu sein, zumal eine jüdische, mit kommunistischem Familienhintergrund, für damalige Verhältnisse spät ein Kind zu kriegen, das ich weitgehend allein und aus heutiger Sicht mit vielen Fehlern erzogen habe … aber das ist eine andere Geschichte, die ich irgendwann auch schreiben will. Es war jedenfalls eine gute Schule, um mit unsicheren Zeiten, Unzugehörigkeit, Projektionen und Irritationen umgehen zu lernen. Eine Basis für mein Interesse an Umbrüchen, Ambivalenzen und an der Zeit um 1800. Denn, wie man auf Wienerisch sagen tät: der Mänsch is ka Bam.
Gegen Klagen und Raunzen hab ich verschiedene Mittelchen. Z.B. denke ich an diverse Weltverbesserungen, die es auch gab: Abgesehen davon, dass ich zum Ende des 2. Weltkriegs geboren bin, das in meiner Familie selbstverständlich nicht als Kapitulation, sondern als Befreiung erlebt wurde, sind danach noch viele Auf- und Umbrüche passiert, + ich „kann sagen, ich sei dabei gewesen“ (wie Goethe vorformuliert hat). Als lesender Mensch, der im kalten Krieg aufgewachsen ist, grenzt die Entwicklung von der Nazi-Diktatur samt breiter Zustimmung der Bevölkerung zu einer von ebenfalls einer breiten Schicht getragenen Demokratie (in Deutschland und in Österreich) an ein Wunder. Wenn vom Weltuntergang die Rede ist, ist mir familiengeschichtlich präsent, dass die Welt, jedenfalls die meiner Großeltern, eh schon untergegangen ist.
Als ich 1963 in die USA kam, hatte die Bürgerrechtsbewegung (mit dem Marsch auf Washington und Martin Luther Kings „Traum“) einen neuen Höhepunkt erlebt. In New York konnte ich sehen, dass nicht nur Damen in Pelzmänteln neben Halbstarken in Lederkluft, auch Schwarze und Weiße nebeneinander gehen oder anstehen konnten. Ich erlebte auch den Rassismus, sei es von Busfahrern, die nicht stehenblieben, wenn „nur“ ein Schwarzer an der Haltestelle stand, oder im Kreise gebildeter Weißer von naturgegebener Dummheit der Bewohner Harlems die Rede war – auch wenn sie – als Juden oder Russen oder Palästinenser – selbst einer Minderheit angehörten.
Als ich 1965 nach Berlin kam, begann die sogenannte Studentenbewegung, zu der eben nicht nur Studierende, sondern Fürsorgezöglinge, Halbstarke oder Hausfrauen beitrugen. Als ich im Wintersemester 1968 in Köln studierte, sah ich auch Arbeiter und Gewerkschafter verschiedenster Sparten, die „mit uns“ gegen die Notstandsgesetze demonstrierten. Dann, im Kontext und im Nachklang: die Frauenbewegung, zu der ich auf „natürliche“ Art gehörte, der Kampf gegen § 218, später auch – unabhängig von geschlechtlichen Orientierungen, die Identitätsdiskussion gab es damals noch nicht – gegen den § 175.
Friedensbewegungen im Plural (Vietnam, NATO-Doppelbeschluss, u.a.), Hausbesetzungen, Anti-Atom-Aktionen haben die Vorstellungen von Demokratie erheblich erweitert. Sogar in Österreich. Dabei denke ich an den Protest gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf und den zivilen Ungehorsam bei der Besetzung der Hainburger Au. Als Wienerin und ehemaliges „Sturmvogerl“ (Kinderorganisation der KPÖ) war mir 1968 der Einmarsch in die ČSSR sehr viel näher als die neuen dogmatischen Parteigründungen ehemals antiautoritärer Eliten.
Es waren nicht nur Siege, aber Schwarze, Frauen und Homosexuelle, nach 1989 auch ehemalige Kommunisten und ehemalige „Zigeuner“, wurden als vollwertige, jedenfalls dem Gesetz nach gleichberechtigte Menschen anerkannt.
Während mich die überbordenden Erinnerungen an ’68 eher kalt lassen, werde ich tendenziell sentimental, wenn ich an die Aufbruchsstimmung der frühen 90er Jahre denke, als noch nicht klar war, welche Art von Einigung Europas nach dem Fall des eisernen Vorhangs (der ja im österreichischen Burgenland zuerst durchlöchert wurde) entstehen würde. Schöne, hoffnungsspendende Konferenzen, Symposien und Feste in östlichen und westlichen Ländern, mit Teilnehmern von Portugal bis Warschau, Amsterdam bis Aserbeidschan und auch aus allen nunmehr drei Ländern, die Jugoslawien waren – womit die Zeit des Friedens in Europa aufgehört hat. Wir träumten von einer europäischen Verfassung und einer europäischen, nicht-nationalistischen und auch nicht kommerziellen transnationalen Kultur, die sich eher am Europarat als an der EU orientierte. [„Kulturpolitik, ein Schalk in Europas Nacken“ oder „Ist multikulturelle Kulturpolitik notwendig“]
Scheint so lange her!
Mein nächster und vorerst letzter „Aufbruch“ war die kurzfristig gehypte Idee von einer Demokratisierung der Wissenschaft, die ich im Kontext einer wissenschaftlichen Akademie mitbefördern konnte [Gegenworte – Hefte für den Disput über Wissen mit Titeln wie „Muss Wissenschaft hinein ins Leben“ oder „Vom Rang ins Parkett“ u.a. inzwischen kess anmutenden Themen]. Basierend auf der Idee, dass die Wissenschaftler +innen selbst sich um die Welt außerhalb des Elfenbeinturms bemühen, und die Vermittlung ihrer Erkenntnisse nicht (wie es dann doch wurde) spezialisierten PR-Abteilungen überlassen.
Und ja, auch die erstaunliche Bereitschaft von Hausfrauen, Schülern, Rentnerinnen oder Lehrern, Bayern wie Hessen, den Flüchtlingen, dann Geflüchteten, dann Asylbewerbern zu helfen, gehört in diese Liste. Und vielleicht kommt ja noch was.
PS: Natürlich könnte ich die Geschichte auch andersrum erzählen: Niederlagen, Benachteiligungen, Scheitern und zerschlagene Hoffnungen in den Vordergrund schieben. Das Glas ist halb voll & halb leer. Hier ist sie wieder, die Ambivalenz, mit der ich, dank reichlicher Übung, gut und inzwischen auch gerne lebe. Sie regt dazu an, die Dinge von mehreren Seiten zu betrachten.
*) Weil soviel von Heimat und Zugehörigkeit, Identität und Wurzzzeln geredet wird, hat mich Covid 19 zu dem Versuch angeregt, zusammenzutragen, wo ich mitgearbeitet, veröffentlicht und unterrichtet habe.
konkret, pardon, Kursbuch, Spuren, alternative, Argument, Courage, Literaturmagazin, Wolfenbütteler Studien, Jahrbuch für Deutsche Geschichte (ISR), Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, L ’80, Zeitschrift für Kulturaustausch, kursiv, Ästhetik & Kommunikation, taz, Freitag, Listen, Literaturblatt, Mitteldeutsches Jahrbuch, Neue Rundschau, Merkur, Fuge, Schwäbisches Tagblatt, Wissenschafts-management. WOZ (CH); Arbeiterzeitung, Die Presse, Wiener Tagebuch, Tagebuch, wespennest, Zwischenwelt (A).
Funk: SWF, SFB, ORF.
Verlage: Weismann, Buchhändler-Vereinigung, Transit, Friedenauer Presse, Arsenal, Lit-Verlag, persona-Verlag, Eichborn + Aufbau, Matthes & Seitz; Vlg. der Theodor Kramer-Gesellschaft, Czernin, hochroth.
Ich fasse zusammen: untreu, heimatlos, Verlagshure, weil jedes Buch in einem andren Nest (außer persona, bei Lisette habe ich 4 (vier) Bücher herausgebracht.
„Und das ist gut so.“