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Der Entlarver

Über Jan-Christoph Hauschilds „Das Phantom“ – eine Replik

B. Traven ist 50 Jahre tot, also erinnert man sich. Der Autor seiner neuesten Biographie hat, wie er in einem Interview betont, die „letzte offene Lücke im Leben des geheimnisumwitterten B. Traven“ geschlossen, er fand „genau die Bindeglieder, die noch fehlten, um die Sache wasserdicht zu machen“. Für Jüngere, denen der Name, genauer gesagt, das Pseudonym, nicht vertraut ist, sei erwähnt, dass B. Traven in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts und noch lange nach dem 2. Weltkrieg unter politisch interessierten Menschen viel gelesen und bewundert wurde. Lange Zeit wusste man nicht, wer hinter dem Verfasser vieler spannenden Bücher, später auch Filme über das Leben in Mexiko steckt, und immer wieder versuchten Neugierige seine wahre Identität zu entlarven. 

B. Traven hat im „Totenschiff“ eine heute noch hochaktuelle Geschichte über einen Menschen ohne Papiere – also einen, der kein Recht zu leben hat – geschrieben, hat über Unterdrückung, Ausbeutung und Abenteuer berichtet: als einer, der sich in den Jobs auf Plantagen oder Ölfeldern selbst verdingt und was er beschrieben, erlebt hat. Aber Hauschild geht es nicht um die Indios, die Ölarbeiter, die Geschichte Mexikos und das schwere Leben im Dschungel samt Taranteln, Schlangen und Moskitos. Er überführt B. Traven, und heraus kommt ein Angeber, „Meister der Unbescheidenheit“, „Plagiator“, einer, „der Selbstlob auf Selbstlob häuft“, „ein bizarres Versteckspiel spielt“, „alternative Fakten erfindet“ und auch noch Rassist und Antisemit war. Außerdem hat er eine leibliche Tochter verleugnet und mit jedem gestritten, der sein Geheimnis wechselnder Identitäten zu lüften versuchte. Travens Mexiko ist „ein Ort der Illusion, und zwar in einem umfassenderen Sinn, als eine vernuftbegabte Leserschaft dies ohnehin mutmaßt“. Und der Verfasser weist nach, was alles erfunden, behauptet, abgeschrieben oder falsch ist. 

Hauschild hat viel gestöbert und vieles gefunden, Hunderte Dokumente gesichtet, die Zeugen vieler Streitigkeiten werden ausführlich zitiert, Lügen, Widersprüche und Täuschungsmanöver mit Lust und Liebe am Detail nachgewiesen (ohne Anmerkungen, also schwer nachvollziehbar). 

Skizze des Schriftstellers B. Traven nach einen Foto von Red Marut anlässlich seiner Verhaftung in London 1923 – Urheber: Fewskulchor/ WikiCommons

Sein Ton ist voller Misstrauen, kleine höhnische Einschübe verstärken den Eindruck, dass Traven ein mieser eitler Kerl und vor allem ein geschäftstüchtiger Textproduzent war. Er kann sich „das Schwindeln nicht verkneifen“, kämpft nicht für die bessere Welt sondern darum, die Reporter hinters Licht zu führen, die seine erfundenen Identitäten lüften wollen. Wenn man Hauschild folgt, hätte Traven das Meiste gar nicht selbst erlebt und vieles aus Berichten von anderen gestohlen. Aber sobald er erfolgreich war und andere von ihm abschrieben, empörte er sich: „… auf Prätention und Verwandlung von flüchtig Aufgeschnapptem versteht sich kaum jemand besser als er selbst.“ Er versucht die Berichterstattung über sich „zu steuern“, und wenn ihm jemand auf den Fersen ist, wehrt er sich nicht nur, sondern „Rechtfertigungen sprudeln geradezu aus ihm heraus, wobei er mehrmals die Verteidigungstaktik wechselt und sich in Widersprüche verstrickt.“ Hauschild schreibt, als wäre Traven ein Vorgänger von Claas Relotius, der berühmt wurde, weil er Reportagen gefälscht hat. Für Travens Wunsch, man möge seine Bücher lesen statt über den Autor zu spekulieren, hat Hauschild kein Verständnis, er sucht und findet den Mann hinter all den Namen – B. Traven, Hal Croves, Ret Marut, Traven Torsvan und schließlich und endgültig Otto Feige, den Handwerker aus Brandenburg. 

Über den Inhalt der Bücher und das wirkliche Leben des Objekts dieser Biographie erfährt man wenig, was in überbordend zitierten Fundstücken auftaucht ist vor allem und immer wieder ein Beweis für Travens Renommiersucht. Travens dezidierte politische Ansichten, seine Träume von einer besseren Welt, seine Wut auf Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Elend sind in diesem Buch Marginalien, sie treten auf den 300 Seiten hinter den vielen Beweisstücken eines schlauen Spurenlesers zurück. Für die Botschaft des Abenteurers hat er kein Sensorium. 

Ich gebe zu, ich bin parteiisch. Für mich, für meinen Vater, und auch noch für meinen Sohn gehörte dieser Autor zu den Leibspeisen früher Lektüre. Für die vielen Leser mit anarchistischem Faible sowieso. Dass seine Geschichten „faktisch nicht korrekt“ sind, ist für Literatur kein Maßstab, die Phantasie haben ihm seine Leser am wenigsten übel genommen. Der Vergleich mit Karl May ist billig, obwohl es interessant sein könnte, über den Unterschied dieser und jener Erfindungen, damals und heute, in Reportagen und in Literatur zu räsonieren. 

Mir ging bei der gelegentlich mühsamen Lektüre immer wieder die Frage durch den Kopf, warum schreibt jemand ein Buch über einen Autor, den er offenkundig nicht leiden kann?