Close

Vergessene Linke

Sie kommen beim Gedenken und in der inzwischen sehr differenzierten Literatur über umgebrachte Juden kaum vor: Die Bundisten. Die Meisten der armen osteuropäischen Juden konnten nicht fliehen, die jüdische Arbeiterbewegung wurden ausgelöscht. Sie waren, oft in der k.u.k. Monarchie geboren, österreichischer Herkunft, aber durch die Entstehung der Nationalstaaten hatten sie, auch wenn sie wie unser Großvater in Wien lebten, ungünstige Pässe. Der Bund propagierte keine nationale Kultur und wollte kein eigenes Territorium, er war gegen die Restriktionen, die Juden wie anderen Minderheiten auferlegt wurden. Ziel war die Gleichberechtigung und die Abschaffung von diskriminierenden antijüdischen Gesetzen. Bundisten verstanden sich als Teil einer revolutionären Entwicklung, und wie andere Sozialisten glaubten sie, dass mit dem sozialen Fortschritt auch die Absonderung der Juden aufgehoben werden könnte. Der Bund war unter den proletarisierten jüdischen Handwerkern verbreitet – Webern, Gerbern, Schuhmachern, Schneidern, die in kleinen Werkstätten, in Manufakturen oder als Heimarbeiter ihr Brot verdienten. Durch die Wanderungen aus Russland und Polen in Richtung Westen entstanden in den Gebieten der habsburgischen Monarchie sozialdemokratische Bewegungen, die spezifische Interessen jüdischer Arbeiter vertraten. Je nach Region und Zeit gab es verschieden revolutionäre Abstufungen, auch Streits über die nationale Frage, sie sollte aber nie Vorrang vor den politischen Forderungen haben, auch als die Genossen mit den antisemitischen Tendenzen in der Arbeiterbewegung konfrontiert waren. Im habsburgischen Nationalitätenstaat mit deutschen, tschechischen, polnischen, ruthenischen, italienischen und südslawischen Minderheiten bestand die „gemeinsame Kultur“ in der Sprache: dem Jiddischen. Und – wie John Bunzl in einer der wenigen deutschsprachigen Studien über den Bund schreibt – dem Wunsch, aus duldsamen gedrückten elenden Arbeitern könnten selbstbewusste, für ihre Rechte kämpfende Menschen werden.
s. John Bunzl, Klassenkampf in der Diaspora : zur Geschichte d. jüd. Arbeiterbewegung, Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung / Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien 1975